Ausstellung im Foyer der Musikhochschule Aachen vom 12. bis 16. September 2016
zum internationale Klavierwettbewerb MozARTè
Mozarts lebte von 1756 bis 1791. Das ist schon lange her und eine Vergegenwärtigung seiner Musik und seines Lebens bedarf der Deutung. Es gibt Briefe und Fremdzeugnisse und wohl auch noch Originalinstrumente der Zeit. Und doch kommt man an einer Aktualisierung nicht vorbei. Man kann versuchen, sich in seine Zeit und das damalige Denken hineinzuversetzen; denn man hat Noten, die es zu spielen gilt. Das Empfinden dabei aber stammt von heute. Tempo, Rhythmus, Klangfärbung und Zergliederung der Themen, Umsetzung in zeitgenössische Instrumente und Auswahl heute interessierender Musikstücke sind Beweggründe der Interpretation durch die Musiker und Dirigenten, zu denen auf ihre Weise am Bild Mozarts mitwirkend, Biographen und das Tourismusmarketing hinzuzählen. Weihe und Mythos, Kitsch und Klischee mischen sich ein, während Quellenforschung Vertuschtes, als unschicklich Empfundenes und Peinliches mit neuem aufklärerischem Zeitgeist einzubinden versucht, um wahrhaftig zu werden.
Die in Moskau geborene Elena Starostina interpretiert mit den Mitteln der Malerei. Sie hat die Person Wolfgang Amadeus Mozart im Kopf und durch Bildrecherche und Lektüre erarbeitet, ist vielleicht auch emotional getragen vom begleitenden Hören der Musik. Sie nutzt das Briefmaterial, liest auch die Beschreibungen von Zeitgenossen, die Forschungsergebnisse von präzise erfassenden und mystifizierenden Autoren, die allesamt verschiedene Bilder von Mozart vermitteln. Ihre Auseinandersetzung bündelt sie in großformatigen, malerisch-glasigen Collagewerken in unscharfer Dämmerungsstimmung und deren erhöhter feinfühliger Aufmerksamkeitzeit.
Das erste Bild zeigt Salzburg, wo Mozart geboren wurde, der früh als Wunderkind gehandelt wurde. Dabei gerät in Vergessenheit, dass er auf den dreieinhalbjährigen Reisen mit dem Vater ab seinem fünften Lebensjahr immer mit seiner ebenfalls virtuosen Schwester Nannerl zusammen gespielt hat. Elena Starostina greift diesen Aspekt in einer Technik der Überlagerungscollage auf. Im Untergrund befinden sich historische Briefe, handschriftliche Zeugnisse, die arrangiert sind, aber so auch etwas Originales von der Person sichtbar machen. Das Material ist eingebunden und überlagert von einer Stadtansicht , die durch Weißhöhungen eine Einfühlung erfährt in eine Stimmungslage, die man mit dem Barock und seiner Vorliebe für Weiß und Gold im Dekor verbindet.
Die nächste Station ist München, wo Mozart 1762, 1778 und 1791 auf der Durchreise Station macht. Hinter dem Rathaus, von oben gesehen, lässt die Künstlerin den Luftraum und die Dachlandschaften dominieren, wohl auch, um all zu Zeitgenössisches im Fotovorbild zurückzudrängen.
Paris ist 1763 historisch die nächste Station, wo er auch 1778 vom Tod seiner Mutter erfährt. Wieder zeigt die Szene den Blick von oben, diesmal auf die Seine, in einem zurückhaltendem Farbklang, der die Einzelgemälde des Zyklus verbindet.
In Rom trifft er 1770 auf Papst Clemens XIV. und wird zum Ritter vom heiligen Sporn geschlagen. Ein gern gespieltes Miserere von Giorgio Allegri, dessen Noten der Vatikan geheim hielt, vermochte der geniale Mozart dort nach zweimaligem Hören aufzuzeichnen.
1763 ist Mozart für einen Tag, hofiert und herumgereicht, auf der Durchreise in Aachen, was ein weiteres Gemälde thematisiert. Hier wird der Starrummel, dem schon der junge Mozart ausgesetzt war, deutlich. Mozart hatte aber auch Widerstände und Schwierigkeiten zu meistern, etwa mit dem Salzburger Kurfürsten, bei dem er 1772-77 Konzertmeister war. Als Resultat hat er sich später in einer Mischung aus Eigenwilligkeit und der Tatsache, dass er keine festen Stellen bekam, selbstständig gemacht und mit Konzerten und Opern Geld verdient. Er löste sich auch schon von der adligen Kundschaft, indem er die Entführung aus dem Serail und die Zauberflöte in deutsch librettieren ließ. Nun wurde er bis zum Handwerker hinunter konsumierbar und beliebt und gleichzeitig freimaurerischen Kreisen würdig, deren Mitglied er wurde und deren Symbolbezüge in der Zauberflöte eingebunden werden.
Die größte Beliebtheit erlebte er nicht in Wien oder Salzburg, sondern in Prag, das die Künstlerin mit der Karlsbrücke darstellt. Einerseits weist es eine realistische Fliederfarbigkeit im Mai auf, leugnet aber wie beim Bild von Aachen nicht die heutige Gegenwart, sondern spiegelt die Geschichte aus der Gegenwart, ohne historisierend zu werden, denn es geht im wesentlichen um die Einfühlung in die Person, nicht so sehr in den historische korrekten Rahmen, für den es an Vorlagen mangelt. Das Zeitgemäßeste ist noch der eingebundene Fesselballon, wenngleich dieser erst mit den Brüdern Montgolfier ab 1783 am Ende von Mozarts Lebenszeit auftaucht.
Mit diesem Blick von oben wählt Elena Starostina ihre Städteansichten aus, weder unmäßig mit vergangenem Zeitambiente, noch mit modernen Details wie Antennen oder Sonnenkollektoren ausgestattet. Dächer als Freiraum über der Stadt sind auch sonst ein Sujet in ihrer Malerei.
Fotografien, Postkartenmotive und Luftbildaufnahmen sind Grundlage, aber sie werden nicht photorealistisch getreu umgesetzt. Das Dach, das Schweben über den Dingen, die Distanz spiegelt auch den Umstand, dass Mozart ein Drittel seines Lebens in den „knopperichten“ Kutschen unterwegs war, „die einem die Seele herausstoßen“. So richtig heimisch scheint er nirgends geworden zu sein.
Ein milchiger Flor sensibel nächtlicher und freundlich warmer Farbigkeit gibt den Gemälden einen spezifischen großflächig flirrenden, impressionstischen Klang, eine durchlichtete Zartheit der Andeutung, eine sanfte Fehlfarbigkeit bis zum bunten Plätschern. Die Atmosphäre verknüpft und verdichtet sich übergreifend in einer Art Gleichklang der Bilder von Farbigkeit und verstriffen tupfend flüssigem Malstil.
Die poetische Intensität der Einfühlung, die die russische Künstlerin Elena Starostina in ihren abseits hektischen Getriebes somit ein wenig aus der Zeit herausgelöst wirkenden Gemälden möglich macht, lässt sich durch das Lesen der angefügten Briefe vertiefen, die den Werken beigegeben sind. Durch Improvisation und Interpretation findet hier eine sensible eine Annäherung an Mozart statt, die Freude macht, sich darauf einzulassen.