Eröffnung von der Ausstellung im Luisenhospital

Aachen,  12. September 2014

Zwei Themenbereiche präsentiert Elena Starostina in dieser Ausstellung: Blumen und Gärten, und Ansichten ihrer Wahlheimat Aachen und dort vor allem die geschichtsträchtige Altstadt mit Rathaus und Dom. So unterschiedlich diese beiden Bereiche auf den ersten Blick erscheinen mögen, so vieles verbindet sie auch.

Die Gemälde Elena Starostinas sind fröhlich, lebensbejahend, farbenprächtig, voller Hoffnung. Sie fangen das Licht eines Augenblicks ein, sie kreieren eine zuversichtliche, optimistische Atmosphäre.

Nicht von ungefähr sind die Impressionisten ihr großes Vorbild. Wer denkt nicht an Claude Monets Seerosenbilder oder an seine Gemälde der Kathedrale von Rouen?

„Der einzigartige Charme dieser Stadt hat mich von Anfang an fasziniert“, so die Künstlerin über Aachen, „und so boten sich viele neue Motive. Besonders begeistert mich der Aachener Dom. Seine Architektur und seine Geschichte inspirieren mich.“

Und ähnlich wie Monet malt die Künstlerin diesen Dom zu unterschiedlichen Tageszeiten, allerdings nicht in einer realitätsgetreuen und detaillierten Wiedergabe der Architektur. Stattdessen sind die wesentlichen Elemente des Bildes das farbige Licht und die Wiedergabe der Wirkung des Gebäudes in verschiedenen Lichtverhältnissen der Tageszeiten und der Witterungsbedingungen Thema.

Kasimir Malewitsch sagte – und dies gilt gleichermaßen für die Bilder Elena Starostinas – über Monets Kathedrale von Rouen: „Das ist Malerei im eigentlichen Sinne, Bewegung und unendliches Wachsen farbiger Flecken. Monet hatte, als er die Kathedrale malte, die Wiedergabe von Licht und Schatten an den Mauern der Kathedrale im Sinn, doch in Wirklichkeit konzentrierte er sich ganz auf die Erschließung einer Malerei, wie sie an den Mauern einer Kathedrale wächst. Sein zentrales Ziel war nicht Licht und Schatten […] Es geht nicht um die Kathedrale, sondern um die Malerei.“

Monet selbst beschrieb seine Arbeitsweise mit dem Fokus auf die Atmosphäre und der undetaillierten Wiedergabe der Architektur mit den Worten: „Ich möchte wiedergeben, was ich vor dem Motiv empfinde.“

Aber noch ein anderer großer Impressionist scheint Pate gestanden zu haben. Wer fühlt sich bei den kräftig blühenden Blumenfeldern nicht an die sonnendurchfluteten Landschaften und an die im Wind wiegenden Weizenfelder van Goghs erinnert, die dieser in seinen beiden letzten Lebensjahren in der hitzeflirrenden Provence schuf?

Und die Künstlerin fängt tatsächlich die Atmosphäre ein, als habe sie sich die Worte van Goghs zu eigen gemacht: „Ich denke daran, mein Atelier mit einem halben Dutzend Sonnenblumenbildern zu schmücken, eine Dekoration, bei der die grellen oder gebrochenen Chromtöne auf verschiedenen Hintergründen erstrahlen werden, auf blauen, vom mattesten Veroneser – bis zum Königsblau, von dünnen, mit Rot-Orange bemalten Leisten eingerahmt.“

Und weiter schreibt van Gogh in einem Brief an seinen Bruder: „Wenn ich also diesen Plan ausführe, wird es ein Dutzend Bilder geben. Das Ganze eine Symphonie in Blau und Gelb. Ich arbeite jeden Morgen von Sonnenaufgang an. Denn die Blumen verwelken schnell, und das Ganze muss in einem Zug gemalt werden.“

Die Blumen versinnbildlichen die Sonne, die van Gogh als Symbol des Lebens verstand.

Elena Starostina geht wie einst die französischen Impressionisten hinaus in die Landschaft, wo sie an Ort und Stelle einen flüchtigen Augenblick, ein besonderes Licht, eine besondere Form, eine besondere Farbe meist zunächst in einer Tuschpinselzeichnung festhält, die sie dann im Atelier ausarbeitet.

Mich lassen diese Gemälde an das spanische Wort Alegria denken: Es scheint mir, als habe sich Elena Starostina von diesem Wort Alegria in zweifacher Hinsicht inspirieren lassen. Das Wort ist lautmalerisch, es klingt nach Freude, nach Frohsinn, nach Fröhlichkeit. Die Bilder sollen nicht nur optisch wirken, sondern wie das Wort Alegria lautmalerisch die Freude wiedergibt, sollen die Farben zum Klingen gebracht werden. Die Künstlerin experimentiert mit der Wirkung von Farben, Formen, Linien und Flächen aufeinander, sowie mit der Subjektivität der optischen Wahrnehmung bei dem Betrachter.

Die Synästhesie‚ das gleichzeitige Empfinden zweier oder mehrerer physisch getrennter Bereiche der Wahrnehmung, das Sehen der Bilder, der Linien und der Flächen, das Vibrieren der Farben und das gleichzeitige Hören der Farben und der Formen regt das entsprechende Verarbeitungszentrum im Gehirn an und das Bild, das dabei entsteht, wird, selbst mit geschlossenen Augen, vor einem inneren Auge sichtbar. Diese Verschmelzung verschiedener Sinne können darüber hinaus Gefühle evozieren. Alegria.

Durch diese Impulse, die zunächst nur das Auge betreffen, wird der Betrachter zum bewussten Sehen eingeladen. Die Bilder rufen einen Moment der spontanen, inneren Freude hervor durch die Autonomie der Farbe, der Betrachter empfindet ganzheitlich die Farbe, spürt die Raumtiefe und erfährt den Raum, wobei sein Inneres, seine Seele berührt wird.

Dieser Moment des inneren Sehens, veranlasst den mit sanfter Aufmerksamkeit Betrachtenden innezuhalten. Er kann Kraft schöpfen, Ruhe finden, sich erholen. Die Besinnung oder die Kontemplation ist das Thema dieser Bilder, die einen besonderen Empfindungszustand oder gar eine Bewusstseinserweiterung anstreben. Ein in unserer heutigen lauten, hektischen Welt unendlich wertvoller Augenblick.

Elena Starostina ist in Moskau geboren, studierte an der staatlichen Stroganoff-Kunstakademie und arbeitet nach ihrem Abschluss bei den staatlichen Restaurationswerkstätten unter anderem für das Bolshoi Theater und den Kreml. Seit 2006 lebt und arbeitet die Künstlerin in Aachen.

Für Elena Starostina ist ein Garten mehr als nur ein Garten. Für sie ist er ein archetypisches Abbild des Himmels, in dem die Farben heller und reiner werden und die Gefühle sich intensivieren.

Auch wenn ein Garten in der christlichen Religion als ferne Erinnerung an das längst verloren geglaubte Paradies gilt, meine ich, Verwandtschaft zur asiatischen Kunst zu entdecken.

Ihre Malerei ist nicht allein die Abbildung von Gesehenem, nicht eine visuelle Reproduktion von Bildinformationen, sondern der direkte und unverfälschte Ausdruck ihres Selbst. Diese Art der Malerei hilft der Künstlerin, um das Beispiel der Chinesen heranzuziehen, ihren Weg, ihr Dao zu finden.

Diese Gemälde vermögen uns den Wandel des Seins, die Allverbundenheit, sowie die Vollkommenheit der Leere nahezubringen.
Schon Yu Shih-nan, ein taoistischer Kalligraph und Maler aus dem siebten Jahrhundert nach Christus sagte: „Wenn man den Pinsel in die Hand nimmt, dann muss man sein Sehen zurücknehmen, das Hören umkehren, alle Gedanken abtun und sich auf die spirituelle Wirklichkeit konzentrieren. Wenn der Geist still und der Atem harmonisch ist, dann wird das Werk ins Allerfeinste eindringen.”

Für Elena Starostina ist ein Garten mehr als nur ein Garten. Für sie ist er ein archetypisches Abbild des Himmels, in dem die Farben heller und reiner werden und die Gefühle sich intensivieren.

Auch wenn ein Garten in der christlichen Religion als ferne Erinnerung an das längst verloren geglaubte Paradies gilt, meine ich, Verwandtschaft zur asiatischen Kunst zu entdecken.

Ihre Malerei ist nicht allein die Abbildung von Gesehenem, nicht eine visuelle Reproduktion von Bildinformationen, sondern der direkte und unverfälschte Ausdruck ihres Selbst. Diese Art der Malerei hilft der Künstlerin, um das Beispiel der Chinesen heranzuziehen, ihren Weg, ihr Dao zu finden.

Diese Gemälde vermögen uns den Wandel des Seins, die Allverbundenheit, sowie die Vollkommenheit der Leere nahezubringen.
Schon Yu Shih-nan, ein taoistischer Kalligraph und Maler aus dem siebten Jahrhundert nach Christus sagte: „Wenn man den Pinsel in die Hand nimmt, dann muss man sein Sehen zurücknehmen, das Hören umkehren, alle Gedanken abtun und sich auf die spirituelle Wirklichkeit konzentrieren. Wenn der Geist still und der Atem harmonisch ist, dann wird das Werk ins Allerfeinste eindringen.”

Die meisten Maler und Zeichner nehmen Staffelei oder Skizzenblock, postieren sich innerhalb einer Landschaft und versuchen, das, was ihr Auge wahrnimmt, auf dem Papier oder auf der Leinwand festzuhalten.

Elena Starostina scheint dagegen alles, wenn sie durch die Landschaft zieht, zu sehen, zu riechen, zu hören, zu spüren, zu schmecken und in sich aufzunehmen. Damit aber nicht genug, lässt sie mit ihren Farben ihr Herz erzählen.

Josef Gülpers, Kunsthistoriker MA